Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Markus Söder,
im Auftrag der Sozialen und kulturellen Organisation Omid und im Namen unseres Netzwerks von fast 40.000 Afghaninnen und Afghanen wenden wir uns mit einem dringenden Appell an Sie.
Mit diesem Schreiben bitten wir Sie, besonders bedrohte afghanische Aktivistinnen und Aktivisten jetzt bei ihrer Ausreise aus Afghanistan zu unterstützen. Denn wir sehen nicht nur deren Leib und Leben gefährdet, sondern auch das jahrzehntelange Engagement und die Investitionen des Freistaats Bayern in Afghanistan.
Wir sind sehr besorgt, dass Afghanistan in eine instabile
Lage abrutscht und radikal-islamistische Gruppen das
politische Klima ausnutzen, um ihr menschenverachtendes Gedankengut auch international zu verbreiten.
Nicht nur hier in Bayern unterstützen wir unsere afghanischen Landsleute. Wir
vertreten ein großes Netzwerk an aktiven Menschenrechtsgruppen, Aktivistinnen und
Aktivisten der Zivilgesellschaft, Frauenrechtlerinnen und Frauenrechtlern und
Journalisten und Journalistinnen in ganz Afghanistan. Dank der finanziellen
Unterstützung des Freistaates Bayern wurden diese Strukturen überhaupt erst möglich gemacht. Wir sind bereit, alles dafür zu tun, damit diese Hilfe nicht umsonst war.
Seit der gewaltsamen Machtübernahme der Taliban erreichen uns stündlich Hinweise und Nachrichten von Menschen aus Afghanistan, die verzweifelt um Hilfe bitten. Es ist zu befürchten, dass in Afghanistan gewaltsame Übergriffe auf die Zivilbevölkerung stattfinden könnten. Daher planen viele Afghaninnen und Afghanen bereits ihre Flucht aus dem Land. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass auch die Menschen, die sich schon nach Bayern retten konnten, einem enormen psychischen Stress ausgesetzt sind.
Darum bitten wir Sie herzlich, eine Beschleunigung und ein Entgegenkommen bei der Erteilung von Visas für Familiennachzüge zu unterstützen. Vielen Betroffenen würde rechtlich eine Einreise auf legalem Weg zustehen. Die Prüfung ist jedoch schwierig und kann sich lange hinauszögern. Einen Einsatz ihrerseits beim Auswärtigen Amt in Berlin für die bedrohten Menschen Afghanistans sehen wir als äußerst hilfreich an.
Mangels Auslandsvertretung in Kabul hoffen wir, dass Ihre Fürsprache beim Auswärtigen Amt in den deutschen Vertretungen in Teheran, Islamabad und Neu-Delhi zu einer zügigeren Bearbeitung der Visa-Anträge führt. Auch die Anträge, die bereits seit Jahren nicht abschließend bearbeitet wurden, sollten jetzt so schnell wie möglich erteilt werden. Dabei bitten wir um eine Vereinfachung der Anträge, um größeres Unglück abwenden zu können.
Es ist an der Zeit, abgelehnten Afghaninnen und Afghanen in Deutschland eine Bleibeperspektive zu gewähren, zumal sie zunächst auf unbestimmte Zeit rechtlich nicht abgeschoben werden können, gleichzeitig aber der bayerischen Wirtschaft nicht als dringend benötigte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Im beidseitigen Interesse hoffen wir hier auf eine produktive Anpassung der Gesetzeslage.
Wir empfehlen, Asylanträge aufgrund der veränderten politischen Lage in Afghanistan im Rahmen von Neu- oder Zweitverfahren jetzt neu zu begutachten. Abgeschobene Afghaninnen und Afghanen jedweden Standes gehören zu einer besonders gefährdeten Gruppe. Sie sind die ersten, die zu Opfern der Taliban und anderer radikal-islamistischer Organisationen werden. Auch hier hat die Welt und somit auch Deutschland eine politisch-moralische Verantwortung gegenüber besonders vulnerablen Gruppen. Wenn wir hier die richtigen Weichen stellen, wird Bayern durch Transferwissen und internationale Handelskontakte bereichert. Wenn Sie sich für dieses Potenzial stark machen, können wir Sie dabei unterstützen, den guten Ruf Bayerns und Deutschlands in der Welt gemeinsam weiter auszubauen.
Es ist zu bedenken, dass Menschen auf der Flucht nicht viel zu verlieren haben. So wird sich illegale Flucht durchsetzen. Dabei verlieren wir jene, die das größte Potential für Ihr Land in sich tragen, gegen diejenigen, die sich durch brutale Gewalt durchsetzen. Wie Sie wissen, bedeutet eine illegale Flucht nicht nur die finanzielle Stärkung krimineller Menschenhandels Organisationen, welche oft von Terrorgruppen geleitet werden, sondern auch fast immer eine traumatische Erfahrung für die Flüchtenden.
Wenn Sie es dann nach Bayern schaffen, müssen sie in vielen Fällen psychologisch behandelt werden. Je traumatischer die Flucht war, desto schwerwiegender sind die langfristigen Folgen für Psyche und Körper. Das bedeutet einen unglaublichen Aufwand für die bayerische Zivilgesellschaft und nicht zuletzt für das bayerische Gesundheitssystem.
Wenn wir diesen Menschen jetzt helfen, über die bundesdeutschen Vertretungen in den Nachbarstaaten Afghanistans und der Region auszureisen, wird nicht nur deren seelische wie körperliche Gesundheit geschützt, sondern auch ein wirtschaftlicher Mehrwert für das Land Bayern geschaffen. Unserem Netzwerk liegt eine gute Kooperation mit deutschen Behörden am Herzen.
Wir stehen für Verlässlichkeit und Seriosität. Wenn diese Menschen jetzt sich selbst überlassen werden, verliert auch das Land Bayern das menschliche Potential, welches es in den letzten zwanzig Jahren aufgebaut und mit Millionen Euro an bayerischen Steuergeldern überhaupt erst möglich gemacht hat. Wir können Ihnen dabei helfen, besonders schützenswerte Personen zu identifizieren und entsprechende Kontakte herzustellen.
Die Soziale und Kulturelle Organisation Omid hilft afghanischen Geflüchteten in Bayern dabei, Lösungen für Fragen der Integration zu finden. Wir helfen seit 2017 bei Heraus- forderungen des täglichen Lebens, bringen unseren Landsleuten die bayerische Kultur näher und vernetzen afghanische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die für die Demokratisierung und wirtschaftliche Entwicklung ihrer Heimat aktiv werden wollen.
Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, entwickeln wir derzeit eine Zeitschrift, um afghan- isches Leben und Geschichte zu erklären und gleichzeitig afghanischen Mitmenschen Münchner Kultur und das Leben in Bayern näher zu bringen. Denn wir glauben, dass Integration vor allem durch Wissen und Bildung voranschreitet. Allein auf unserer Facebook-Seite folgen uns fast 40.000 afghanische Freunde und Unterstützer, die uns tagtäglich mit Informationen versorgen.
Hochachtungsvoll Shiragha Najaty
Vorsitzender der Omid Social And Cultural Organization